Interview mit Robert Maggiori

Derrida zum Freundespreis

erschienen in:

Le cahier livres de Libération, Jeudi, 24 novembre 1994, pp. I-III


Übersetzt von Hans-Peter Jäck


Q: Ein Jahr nach Spectres de Marx publizieren Sie gleichzeitig mit Politiques de l'amitié einen noch viel politischeren Text: Force de loi (dt.: Gesetzeskraft, 1991). Heißt das, Sie wollen dem Gerücht ein Ende bereiten, wonach die Dekonstruktion vor Fragen der Ethik, des Sozialen und der Politik gleichsam nihilistisch abdankt?

A: Nein, primäre Absicht ist nicht die Erwiderung oder das Plädoyer. Seit Beginn vor fast 30 Jahren hat sich meine Arbeit unter dem Zeichen, sagen wir, einer ethisch-politischen Bejahung entwickelt. Sie beschäftigte sich zunächst mit der Frage des Politischen, des Moralischen, des Gerechten und des Rechts. Einer der Leitfäden wird das Problem des Nationalismus gewesen sein. Die diesem Thema gewidmteten Seminare haben Politiques de l'amitié vorbereitet, besonders die zum Thema des Autchtonen, der Geburt und der Brüderlichkeit. Das ist nur ein Beispiel. Tatsächlich geht es um die Verantwortung im allgemeinen - seit Jahren das Thema meiner Unterrichtsveranstaltungen. Eine neue Erfahrung zu machen mit der ethisch-politischen Verantwortung, zu der wir aufgerufen sind, das heißt, sich der Sicherheiten und Begrifflichkeiten zu entäußern, die eine alte und zähe Geschichte haben: das ist eine schmerzvolle Erfahrung, also etwa Gefährliches und Unabschließbares. Die Erschütterungen unserer heutigen Zeit machen diese ungestörten Sicherheiten viel schneller heimatlos als alle dekonstruktiven Diskurse. Der Zugang zu diesen Ansprüchen nach Verantwortung verläuft über kritische Wege, über eine offenkundig zerstörerische, destruktive Negativität, die wie ein Schatten auch noch die allerverantwortungsbewußteste Affirmation begleitet, die unabschließbare Affirmation der Gerechtigkeit/des Rechts. Man darf niemal aufhören, den dominierenden Begriff der Demokratie in Unruhe zu versetzen: die sympathische, republikanische und universelle Brüderlichkeit kann jederzeit das Symbolische des Blutes wiederkehren lassen, die Nation, die Ethnie oder den sublimierten Anthrozentrismus. Andererseits wird man auf diese Notwendigkeiten nicht angemessen reagieren, wenn man nicht in anderer Weise denkt und schreibt, also nicht ohne irgendwelche Gewalt gegenüber leichtfertigen Lektüren und ausgetretenen Pfaden der Legitimierung auszuüben. Besonders auf dem Gebiet der Politik, wo man glaubt, den abschüssigen Bahnen folgen, die vereinfachende und nach ­p;bereinstimmung suchende Rhetorik rechtfertigen, dem Leser oder dem Wähler nicht allzuviel Mühe abverlangen zu dürfen.

Q: Man zögert heute nicht, das Ideal der Emanzipation und der Befreiung für veraltet zu erklären. Sie unterstützen eine solche Erklärung nicht. Warum nicht? Und muß man, um solche Ideale neu zu beleben, die Möglihkeiten der Gerechtigkeit, des Rechts neu denken, auf die Gefahr hin, zeigen zu müssen, daß die Gerechtigkeit/das Recht von Anfang an nach Gewalt verlangt?

A: Sie wissen sehr gut, daß ich niemals, selbst als es gängige Mode war, etwas gegen das Ideal der Emanzipation und der Befreiung (sexuell, kulturell, sprachlich, sozial, ökonomisch, politisch) gesagt oder auch nur so dahergeredet habe. Ich bleibe auf meine Art progressistisch. Laßt uns doch beständig fortfahren, das klassische Erbe der Aufklärung, die Metaphysiken des Bewußtseins, des Subjekts, der Freiheit, des Eigentums oder der Wiederaneignung der kulturellen Tradition neu zu befragen. Aber ohne auf andere Aufklärungen zu verzichten. Und indem wir, mehr als zuvor, von verschiedenen Warten aus für die Emazipation oder die Befreiung streiten, selbst da, wo eine gewisse Heteronomie unvermeidbar sein kann - und sein darf! Statt diese Parolen auf den Müll zu werfen: warum ihnen nicht einen neuen Gebrauchswert geben, eingedenk der Macht ihrer Glaubwürdigkeit? Das mag unmöglich erscheinen, doch ohne diese andere Sprache wird es keine Politik geben, die der Mühe lohnt. Vor allem auch keine Gerechtigkeit. Nicht das Recht selbst ist es, so könnte man sagen, das die Gewalt fordert (das Recht muß entwaffnet bleiben und einen regelfreien und begriffsfreien Respekt erheischen, einen unendlichen Respekt für die Singularität), sondern die Pflicht, die Gerechtigkeit soviel wie möglich in die kalkulierbare Allgemeinheit eines Gesetzes einzuschreiben. Diese Pflicht ist schwer zu denken und ins Werk zu setzen: die Gerechtigkeit wird niemals außerhalb der Gestalt eines Gesetzes wirksam, außerhalb einer Gesetzeskraft, die sie aber dennoch überschreitet. Das nennt man die Politik oder die Geschichte.

In Politiken der Freundschaft räumen Sie Carl Schmitt viel Platz ein, der die Politik über die Unterscheidung von Freund und Feind definiert. Indes fügen Sie hier eine lange Anmerkung an, um wenigstens eine unvermeidbare Zweideutigkeit in Grenzen zu halten. Fürchteten Sie, daß man Sie - wie schon zuvor einige Theoretiker der extremen Linken - für die Rehabilitierung dieses Denkers verantwortlich machen würde, an dessen antisemitischen Affekt, der ein extremes Ausmaß angenommen hatte, Sie erinnern, und von dem Sie sagen, er sei wahrscheinlich auch nach jener Zeit, als er sich offen dazu erklärt hat, Nazi geblieben?

Auf keinen Fall rehabilitieren! Das Wort und die Geste erschrecken mich. Ich habe unzweideutig auf den Nazismus und den Antisemitismus Schmitts hingewiesen. Die ihm gewidmeten Kapitel sind eine von mir bewußt gewollte minutiöse Infragestellung seines Unterfangens, seiner Vorannahmen, seiner diskursiven Strategie, seiner Verankerung im europäischen Recht, seiner oppositionellen Logik, seines dezisionistischen Denkens, der Souveränität und des Ausnahmezustands. Kurz gesagt, ich glaube, man muß Schmitt, wie Heidegger, neu lesen - und auch das, was sich zwischen ihnen abspielt. Wenn man die Wachsamkeit und den Wagemut dieses entschieden reaktionären Denkers ernst nimmt, gerade da, wo es auf Restauration aus ist, kann man seinen Einfluß auf die Linke ermessen, aber auch zugleich die verstörenden Affinitäten - zu Leo Strauss, Benjamin und einigen anderen, die das selbst nicht ahnen. Das Gesetz aus diesen Paradoxien heraus zu verstehen und zu formalisieren - ist das nicht eine gute Einführung in die politischen Aufgaben von morgen? Als schlafloser Wächter oder als Späher bei der Belagerung hat Schmitt mir seinem Furchtesmut kommen sehen, was die europäische Ordnung, ihre politische Theologie, ihr internationales Recht, ihre Staats-, Kriegs- und Technikbegriffe, ihren Begriff der parlamentarische Demokratie und der Medien bedroht. Es ist nicht leicht, den schmittianischen Diskurs zu demontieren, wenn man das ehrlich tun will, und selbst das ist noch nicht einmal ausreichend; aber ich frage mich, ob ies nicht eine der nützlichen Übungen ist, um ein neues politisches Denken, ein neues Denken der Politik zu schärfen.

Q: Der Aristoteles zugesprochene Satz - O meine Freunde, es gibt keinen Freund - ist der rote Faden ihrer Lektüre. An einem Punkt setzen Sie dazu an, das, was er über die Freundschaft oder den Freund aussagt, in Begriffe der Liebe zu übersetzen, doch Sie lassen die Auflösung in der Schwebe. Was sagt er denn über die Liebe?

A: Ich glaube, das Buch handelt vor allem von der Liebe. Stillschweigend, im Gleichnis oder insgeheim vielleicht - aber bei jedem Satz erinnert ein verhaltener Gesang an die magische Übertragung, von der Sie eben behauptet haben, sie bliebe in der Schwebe. Es gibt übrigens einen Punkt, wo alles in diesem Buch in diesem gefährlichen vielleicht verharrt, das Nietzsche dem kommenden Denken zurechnet und dem ich, wie Sie wissen, viel Aufmerksamkeit geschenkt habe. Eine Abhandlung über die Liebe muß ein Liebesakt sein, ja ein Akt: eine Erklärung und eine Bürgschaft, die Antwort gibt im rechten Namen der Liebe, um ein anderes Wort Nietzsches hier zu verwenden. Diese Triftigkeit schließt weder das Trugbild noch die Verrücktheit aus. Im Grunde habe ich nie zwischen der Liebe und der Freundschaft unterscheiden können, noch wollen. Aber um einem Freund oder einer Freundin -ich liebe Dich- sagen zu können und für amour fou muß man bis in den eigenen Körper so viele historische Gatter durchschreiten, einen immensen Wald von Untersagungen und Unterscheidungen, Codes, Scenarien, Positionen. Vielleicht um die Stimme einer magnetisierenden Liebe neu zu beleben, die vor aller Unterscheidung zwischen lieben und geliebt werden, Liebe und Freundschaft, Eros und Philia, Eros und Agape, Barmherzigkeit, Brüderlichkeit und Nächstenliebe ertönt. Dieser Gesang lockt uns auf den Boden einer labyrinthischen und undechiffrierbaren, verführerischen und verzweifelten Geschichte. Ich riskiere dort gerne einen Schritt, ich mag mich dort auch verlieren, mir die Zeit nehmen, mich dort zu verlieren. Aber diese Chnace kann uns auch, kraft eines Wortes, eines Moments, eines eifersüchtigen Blicks oder einer Liebkosung zuteil werden. Das kommt vielleicht vor, aber ohne den einen oder den anderen, das einen oder den anderen zu verraten, kann man davon nicht Rechenschaft ablegen.

Q: Um Ihre Analysen zu aktualisieren, haben Sie bewußt auf Illustrationen verzichtet, die Sie der politischen oder Medien-"Aktualität" entnehmen hätten können und die der Reflexion eine Leinwand geboten hätten. Das ist enttäuschend. Man hätte z. B. gerne gesehen, was aus der Definition dessen geworden wäre, was Kant sagt, nicht nur im Hinblick auf den Philanthropen, sondern auch im Hinblick auf den Menschenfreund, auf das Humanitäre oder bezüglich des Prozesses der brüderlichen Humanisierung, den Sie analysieren.

A: Ich hoffe doch, daß diese "aktuellen" Bezüge einem selbst dort in den Sinn kommen, wo ich meine Anspielungen nicht entfalten kann, noch das auch tun muß. Die Frage des Humanitären ist ein Beispiel unter tausend anderen. Durch so viele geo-politische Tragödien hindurch neigen die Interventionen im Namen des Humanitären dazu, sich zu vervielfältigen, sie verlangen heute, so vermute ich, nach einem neuen Recht, einem angemesseneren Namen, einem anderen Begriff vom Menschen - und vom Lebendigen überhaupt. Diese Interventionen markieren zunächst, so scheint es mir, die alltäglich bestätigte Grenze der Staaten und der internationalen Institutionen. Weder ihre Macht noch ihr Recht, weder ihre politischen Diskurse noch die Deutung des Menschen oder der Menschenrechte, die sie begründen, sind auf der Höhe dessen, was wir, wenn man so sagen darf, von uns erwarten, angesichts der neuen weltweiten Katastrophen, der Hungersnöte, der Außenhandelsverschuldung, der Völkermorde, der Mafia, der Ungleichheit vor dem Tode und vor der Wissenschaft, der namenlosen Kriege, der Verbrechen gegen die Menschlichkeit, neben all den Kriegsverbrechen und den politischen Verbrechen. Selbst dort, wo Kant deutlicher den Menschenfreund vom Philanthropen unterscheidet, kann dieses wir nicht mehr der Mensch der Philsophie oder des Humanismus sein, noch auch das Kantische Subjekt, von dem ich zu zeigen versuche, daß es noch allzu sehr brüderlich, verklärt männlich, familial, ethnisch oder national usw. bleibt. Aber ich versuche, anderen Möglichkeiten des kantischen Diskurses gerecht zu werden, die er weiterführt oder verschiebt. Erlauben Sie mir, zumindest einmal deutlich darauf hinzuweisen, daß es in diesem Punkt wie auch an den vielen anderen schwierig ist, ausgewogen darüber zu sprechen.

Q: Sie heben bei allen kanonischen Diskursen über die Freundschaft auf den Ausschluß der Freundschaft zwischen Frauen und dem der Freundschaft zwischen einem Mann und einer Frau ab. Liegt darin das Hauptmerkmal der Geschichte der Freundschaft? Und was waren dabei die Einflüsse auf die Konstituierung politischer Modelle wie z.B. der Demokratie?

A: Es handelt sich wohlgemerkt nicht darum, zu leugnen, daß eine Freundschaft zwischen Frauen oder zwischen Mann und Frau nicht möglich sei, ganz im Gegenteil. Es geht gewissermaßen und allererst in Europa darum, die Geschichte zu durchleuchten, durch die hindurch die phallozentrische Gestalt der Freundschaft - des Freundespaares und ihres testamentischen Bundes - beherrschend, kanonisch geworden ist und allein einen Rechtsanspruch auf politische, philosophische und literarische Archivierung behalten hat. Die Interpretation dieses Archivs ist nicht leicht, vielmehr eine endlose Angelegenheit, doch sie öffnet sich zur realen Geschichte (sei sie nun diskursiv oder nicht), de diesem Modell zur politischen Vorherrschaft verholfen hat. Ich habe begonnen, diesem so reichhaltigen und so verzwickten Motiv der Brüderlichkeit nachzugehen: durch griechische und christliche Darstellungen hindurch, im Verlauf und nach der Französischen Revolution - die sich so schwer tat mit dem Wirbel um dieses in vieler Augen so christliche Wort. Und trotz der intensiven Anstrengung der Vergeistigung, der Sanktionierung, der Universalisierung bleibt die ideale Bedeutung der Brüderlichkeit - und selbst die der gelobten und geschworenen Brüderlichkeit - verwurzelt in der Familie oder in der Geburt (und damit in seiner nationalen Natur: Blut, Boden, Autochtonie) und in der Männlichkeit, in der Tugend der Söhne, der Helden und der Soldaten. So erscheint das Thema in seiner Klassizität: die Tugend, insbesondere die politische Tugend, die Tugend der Liebe und die Notwendigkeit, diese Tugend ihrem eigentümlich vorväterlihen Androzentrismus zu entreißen. Die zivile, staatsbürgerliche Gleichheit zwischen den Männern und den Frauen, die in ihrer Art, besonders bei uns, erst neueren Datums ist, bleibt, um hier nur diesen Aspekt anzureißen, noch eine Angelegenheit ferner Zukunft. Die Brüerlichkeit war der Demokratisierung dienlich und hat ihr sogar ihre Reichweite geben können, aber dieser Horizont markiert auch eine Grenze. Kein geschichtlicher Bruch wird mit diesem Fraternalismus fertig geworden sein, über dessen Bedeutung wir heute nachzudenken haben, besonders hinsichtlich einer zukünftigen Demokratie: weder die Umwälzung von der griechischen zur christlichen Welt (deren gängige Interpretation ich in diesem Punkt bestreite), noch die post-revolutionäre Republik (schauen Sie sich die aufwühlenden Schriften von Michelet oder von Hugo an - durch die hindurch ich ein wenig verbissen eine französische Epoche dieser Fraternisierung verfolge), noch die Revolution der Psychoanalyse, noch auch die heutige Zeit, und gerade das ist der am meisten zu schätzende, auch der am meisten beunruhigende Abschnitt dieses Buches: die Schriften derer, für die die Autorität dieses greco-christlichen Paradigmas nicht mehr selbstverständlich ist: Nietzsche und noch viel überfeinerter, leiser, Maurice Blanchot oder Jean-Luc Nancy. Die Brüderlichkeit, so sage ich mir manchmal, beunruhigt sie vielleicht nicht allzu sehr.

Q: Jacques Derrida, wer sind Ihre Freunde? Nicht: wessen Freund sind Sie, sondern wen lieben Sie, da nun mal das erste herrausragende Moment Ihrer Geschichte der Freundschaft bei Platon oder Aristoteles aufzeigt, daß man es vorziehen sollte, selbst zu lieben, statt Freund zu sein?

A: Meine Freunde und meine Freundinnen! Selbst wenn uns Zeit und Raum dazu gelassen wäre, würde ich hier schweigen. Die öffentliche Antwort auf diese Frage würde in meinem Buch stehen, manchmal zwischen den Zeilen, manchmal (gegen Ende) in bestimmten Eigennamen. Die benennen nicht lle, doch sie sagen genug darüber aus, daß alle - männlich und weiblich - nur im Singular genannt werden könnten, im unersetzbaren Vokativ. Wie Sie sehen, hängt alles an der Frge der Singularität und der Zahl: kann man mehr als einen Freund, mehr als eine Freundin haben? Wieviele? Und wohin mit der Gleichheit, der Andersheit und der Gerechtigkeit in dieser Beziehung? Mit diesem "mehr als einer" und "mehr als eine" beginnt vielleicht die Politik. Die Sensibilität und die Ausdauer, die man für die Erkundung dieses Ortes der Aporien aufwendet, macht vielleicht bereit und empfänglich für die Freundschaft, so wie ich sie liebe. Sie gibt ihr mehr Gelegenheit, aber all das ist niemals eine Bedingung. Die Freundschaft stellt keine Bedingungen, sie erwartet keine Rückerstattung: Gleichheit ohne Reziprozität oder Symmetrie. Und überall, wo auch nur ein freundschaftlicher Gedanke sanft die Bruder-Autorität, und sei es die des idealisierten Bruders, befragen, verschieben, beunruhigen kann, ähnelt dieser freundschaftliche Gedanke, wenn er sich niederschreibt, vielleicht dem Gedanken einer Freundin; aber warum nicht, wenn die Schwester nicht mehr ein Sonderfall des Bruders ist?

Q: Die schönsten Seiten der Politiques de l'amitié sind meiner Ansicht nach die, die Sie Maurice Blanchot widmen. Aber doch scheint sein Begriff der Freundschaft - unteilbare und unumkehrbare Freundschaft, für die man, ohne Spuren zu hinterlassen, eine durchlässig-passive Antwort für die Nichtpräsenz des Unbekannten zuläßt, oder: Appell ans Sterben, zusammenfallend mit der Trennung - unmöglich, unhaltbar. Kann dieser Begriff Eingang in eine Politik der Freundschaft finden?

A: Nein, und da liegt das ganze Problem. Nein, wenn man die Politik - oder die Demokratie - auf ihre heute identifizierbaren oder unangezweifelten Formen begrenzt. Ich träume von einer Politik, die eine wirksame Politik bleibt, ohne der Möglichkeit dieser Freundschaft, so unwahrscheinlich sie auch immer sein mag, Gewalt anzutun, jenseits der wechselseitigen Genossenschaft, der nachbarlichen Nähe, der Identifizierung. Kurz, eine Politik, die dieser Freundschaft gegenüber nicht unrecht tut. Ist das bloß ein Traum? Vielleicht. Noch müßte man ihm einen Tag vorgeben: was unmöglich scheint, ist schon versprochen worden und bleibt also denkbar. Wir behalten es in denkender Erinnerung jedes mal, wenn wir lieben, wenn wir die Worte Liebe oder Freundschaft übertragen und weitergeben. Jedes Mal wenn wir sie machen, die Liebe und die Freundschaft. Am Ursprung der Politik hat vielleicht diese Bürgschaft gestanden, selbst wenn an diesem Punkt - inkommensurabel mit dem Geheimnis - eine Politik inadequat bleibt und bleiben muß.


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